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Ich bin eine glückliche Person mit Depressionen

Trigger Warnung: Depressionen, Suizidgedanken


Sie ist wieder da, die Depression. Die Welt ist die selbe, aber die Sonne ist untergegangen und die Farben mit ihr. Übrig bleibt ein Gerüst aus schwarz und grau. Gleichgültigkeit. Ich kann mich noch erinnern, was hell und dunkel war, was Spaß macht, was weh tut, doch spüren tue ich es nicht mehr.

Manchmal kann ich kaum aufstehen, aber schlafen kann ich auch nicht. Mein Körper ist vollkommen energielos, doch Appetit habe ich nicht. Alles ist zu hell, zu laut, zu viel, aber ich muss irgendwas machen, weil in der Stille die Gedanken kommen. Es sind meine Gedanken, eigentlich, meine Stimme, die sie spricht. Doch sie sind verzerrt, heimtükisch, verschachtelt.

Es ist nicht schön. Vergiss die Filme, die Tumbler Blogs. Depression ist hässlich. Eine dreckige Wohnung, Geschirr, dass sich stapelt, Kleidung, die ewig lange nicht gewaschen wurde, weil die Kraft dazu fehlt und es doch eh egal ist.

Die Depression frisst das Schöne. All die Farben, die das Leben ausmachen. Die Gefühle und Gedanken, die mich ausmachen. Das Leben selbst. Denn Depression ist das Warten auf den Tod. Das aufgegeben haben. Nicht, weil man sich dafür entschieden hat, sondern weil man dazu gezwungen wurde. Der Lebensgeist wurde einem ausgesaugt und der Körper ist zwar noch da, aber die Kraft ihn zu bewegen, durch ihn zu fühlen, zu staunen, zu entdecken, ist weg. Und so muss man ausharren in einer Dunkelheit, die voller Ängste ist. Man erahnt in den Schatten Augen, die einen hämisch beobachten, bildet sich Stimmen ein, die über einen lästern, fühlt, wie sich die Welt gegen einen verschwört. Und man glaubt nicht an ein Ende des Leids. Der Gedanke an Suizid kann Trost spenden. Ein Tor aus dem Leid hinaus, aus der Folter. Erlösung. Und gleichzeitig, foltert dieser Gedanke mehr als alles andere, bringt er Leid, zieht einen weiter hinab.


Wieso also glücklich? Wenn ich mich nicht glücklich fühle. Wenn ich leide und der einzige Grund, dass ich nicht antriebslos ins Nichts starre, und es schaffe hier zu sitzen und zu schreiben starke Medikamente sind, die mich zittrig und nervös machen. Wie kann ich also glücklich sein, während das Glück fern und unerreichbar scheint?


Weil es nicht fern ist. Es ist hier. Dieses Leben in Marburg, in meiner kleinen Wohnung an der Lahn mit der Harfe vor dem Fenster, meiner politisch und aktivistischen Arbeit und all den Menschen, den vielen vielen Menschen, die mich lieben und die ich liebe, das ist das größte Geschenk, was ich jemals bekommen habe. Ich werde gehört, akzeptiert, verstanden, geliebt. Ein Ding der Unmöglichkeit. Etwas unerhörtes, unbekanntes. In meinem Kopf bin ich noch immer ein Mobbingopfer, das gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Freunde zu haben ist für viele das normalste auf der Welt, für mich ist es Magie und die größte Ehre überhaupt.

Und all das macht mich so unglaublich dankbar und glücklich. Mein Leben ist zutiefst erfüllt. Ich darf lernen über den Menschen. Mich frei entwickeln in jede Richtung. Schreiben, Harfe spielen, Aktivistin sein. Und ich verändere nicht nur mich selbst, ich verändere ein Stück die Welt, meine Stadt, denn plötzlich wird meine Stimme gehört und ich kann meine Ideen umsetzen. Ist das nicht unglaublich? In der perfekten Welt sind das alles Selbstverständlichkeiten, aber in meiner Welt nicht. In meiner Welt sind das Wunder und ich bin so verdammt dankbar für diese vielen vielen Wunder, die mir widerfahren.


Also die entgegengesetzte Frage: Wieso dann die Depressionen?

Wenn du das beantworten könntest, dann wäre dir ein Nobelpreis sicher. Denn jede potenzielle Antwort ist zu einfach. Natürlich gibt es Dinge in meinem Leben, die wahrscheinlich das Auftreten und den Verlauf meiner depressiven Episoden beeinflusst haben. Ich bin Autistin. Aber ich konnte keine Autistin sein. Meine autistischen Bedürfnisse durfte ich nicht haben und ich musste auf die harte Tour, durch jahrelanges Mobbing, lernen in einer Welt zurecht zu kommen, die Regeln folgt, die ich nicht ganz nachvollziehen kann und meine Behinderung zu verstecken. Das ist extrem belastend. Und Mobbing im Kindesalter hinterlässt tiefe Narben, die irgendwie schief verheilt sind und deshalb auch heute noch verzerren, wie ich die Welt sehe.

Mich überfordern deshalb viele Dinge in meinem Alltag. Einkaufen gehen, nasse Hände haben, bestimmte Gerüche, neue Orte, Geräusche, neue Menschen, das können extreme Belastungen für mich sein, doch ich habe auch Angst das anderen Menschen mitzuteilen und diese Situationen so für mich einfacher zu machen. Denn mein Gehirn, das auch in den liebsten Mitmenschen noch potentielle Mobber*innen sieht, will einfach nicht zulassen, dass ich diese „Schwäche“ zeige. Denn ich muss ja angepasst und kompetent sein, sonst werde ich ausgestoßen und nicht mehr geliebt. Ich glaube das Prinzip sollte klar sein.

Manchmal bin ich so überfordert, dass mein Körper nicht mehr mit all den Reizen klar kommt und hin und wieder kann das eine Abwärtsspirale auslösen. Ich bin auch sehr schlecht im Emotionen erkennen, weshalb ich mich schwer davor schützen und Vorsichtsmaßnahmen ergreifen kann.


Doch nicht alle meiner depressiven Episoden haben so einen klar erkennbaren Auslöser. Gerade zum Beispiel habe ich eine schwere Depression, obwohl ich eigentlich Uni und Arbeit sehr zurückgeschraubt und viel Freizeit gewonnen habe. Es ist auch nichts schlimmes passiert. Das Tief kommt einfach aus dem Blauem heraus. Depression ist halt eine Krankheit. Wie Krebs. Man kann sich zwar gut ernähren und auf Rauchen verzichten und viel Sport machen, um die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken für sich so gering wie möglich zu halten, aber manchmal bekommt man halt trotzdem Krebs. Eine plötzliche Mutation, eine genetische Veranlagung, irgendeine Wechselwirkung.

Und so kann das Gehirn auch einfach erkranken. Depression ist ja in erster Linie eine Stoffwechselstörung. Und manchmal, da werden halt auch glückliche Menschen depressiv.


Und obwohl ich gerade das Glück nicht fühlen kann, obwohl es dunkel ist und die Farben weg, so weiß ich doch, dass es da ist. Es ist nicht einfach sich daran zu erinnern und es tut gerade auch einfach verdammt weh. Und wisst ihr was, es ist auch okay, wenn es mir gerade scheiße geht! Das ist nicht undankbar und ich muss mich auch nicht immer zusammenreißen, dafür habe ich einfach nicht die Kraft. Keiner ist schuld an seinen Depressionen, weil er oder sie sich nicht genug Mühe gibt.

Aber ich kann darauf vertrauen, dass das Glück da ist, auch wenn ich es nicht sehen kann. Und dass irgendwann die Sonne wieder aufgeht.

Und wenn ihr das lest (dieser Blog ist so in der letzten Ecke des Internets versteckt, dass ich sicher bin, dass nur Herzensmenschen ihn lesen), dann seid auch ihr mein Glück. Es tut mir leid, dass ihr meine Depressionen miterleben müsst. Wieder und wieder. Das ist bestimmt nicht einfach. Und es tut mir leid, dass ich euch nicht so sehen kann und nicht so für euch da sein kann, wie sonst. Und dass ich gerade anders bin. Ich bin nicht die einzige, die an meinen Depressionen leidet, auch ihr leidet. Doch trotzdem seid ihr immer noch hier. Seid der Grund, dass ich vertrauen kann dass mein Glück bleibt, auch wenn ich es nicht gerade nicht wahrnehmen kann. And that makes all the difference.


Danke für das Glück. Für die Sonne. Und für euch.

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