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Ich höre auf mich komisch zu fühlen

Es gibt Wörter, die begleiten uns so lange, dass sie zu einem Teil unserer Identität werden. Ob wir es wollen, oder nicht. Wir werden mit ihnen beschimpft, sie werden uns an den Kopf geworfen, als Beleidigungen benutzt. Bei mir war es das Wort „komisch“. Oder „anders“.


Ich habe mich nie dafür entschieden anders zu sein. Auch die Bedeutung dieses Wortes habe ich lange nicht verstanden, oder wieso gerade ich in diese Kategorie viel. Aber es war nie ein nettes Wort. Sondern eine Erklärung. Wieso ich nicht mitspielen durfte. Wieso man sich nicht mit mir verabreden sollte. Oder nicht meine Freundin sein wollte.

Da war Unverständnis und da war Scham in mir. Ich wollte das Anderssein ablegen, diese Charakterschwäche von mir besiegen, damit die anderen mich als ihre Freundin haben wollten. In meiner Kindheit habe ich dutzende Listen an Eigenschaften geschrieben, die ich haben wollte, habe akribisch daran gearbeitet diese zu erfüllen.


Mein Plan schlug immer fehl - und irgendwann musste ich mich mit dem Anderssein abfinden. Ich fand zum ersten Mal in meinem Leben richtige Freund*innen. Uns einte dieser Begriff. Wir waren LGBTs, Punks, Emos, Gothics. Die ehemaligen Mobbingopfer unserer Schule. Und wir nahmen diesen Begriff des komisch und anders seins, der an uns heftete, und münzten ihn in etwas positives um.

Unsere Outfits wurden Jahr für Jahr schriller. Wir outeten uns. Amüsierten uns über die Blicke der anderen. Feierten einander. Waren stolz auf unser Anderssein, versteckten es nicht länger, sondern trugen es nach außen. Wir nannten uns passend: die Outcrowd.


Doch ich konnte nicht ewig in der Schule bleiben, Zuhause wohnen und im Jugendzentrum um die Ecke mit der Outcrowd abhängen. Mit 18 beschloss ich nach Marburg zu ziehen, zu studieren und ein neues Leben zu beginnen. Ich integrierte mich langsam in die Gemeinschaft der Studierenden, ohne den Schutz meiner Outcrowd, und die Frage nach dem Anderssein stellte sich mir erneut.

Irgendwie fühlte ich mich distanziert von den anderen. Beinahe exotisch, ein Clown. Ich funktionierte irgendwie anders und anstatt, dass mein Umfeld, wie früher, mich darauf aufmerksam machte und sich von mir distanzierte, war ich es diesmal, die nach Unterschieden suchte und mich zurückzog.

Ich hatte Angst wieder gemobbt zu werden, war misstrauisch gegenüber der Zuneigung, die ich erfuhr, und ungeübt darin Beziehungen aufzubauen.

Ich begann die Kontraste zwischen mir und den anderen immer stärker wahrzunehmen, wurde überrollt von Einsamkeit. Es folgte sozialer Rückzug und Depression.


Natürlich gibt es auch einen Grund, wieso ich mich so anders fühlte. Wieso dieser Begriff früher oder später immer in meine Richtung rollt. Als Autistin verhalte ich mich oft intuitiv anders, als mein Umfeld. Ich verarbeite Reize anders, sehe mehr Details und bin auf der anderen Seite oft überflutet, von den Sinneseindrücken um mich herum. Soziale Fertigkeiten sind bei mir hart erlernt und keine Selbstverständlichkeit. Und obwohl ich über die Jahre immer besser geworden bin die Erwartungen meines Umfeldes zu verstehen und mich dementsprechend zu verhalten, bleibt eine Verunsicherung bestehen, ein Gefühl, eben doch ein Clown zu sein, der irgendwie versucht ein normales Leben zu mimen.


Ich begann meinen Autismus immer mehr zu verstehen, Worte für das Anderssein zu finden, mich mitzuteilen und Menschen kennenzulernen, die ähnliches erleben. Seit langem erlebte ich wieder das high, Begriffe wie “komisch” “anders” und “autistisch”, die für die Gesellschaft oft negativ konnotiert sind, für mich umzudrehen und sie Teil einer positiven Identität zu machen. Doch noch immer beruhte diese Identität auf der Abgrenzung zu den anderen, “normalen”, auf Unterschieden, Besonderheiten. Es waren nicht die Eigenschaften, die ich an mir am meisten schätzte, oder die mir am meisten bedeuteten, sondern die, die mich von anderen unterschieden, die mich ausmachten.

Und das war nie eine Entscheidung, die ich selber treffen konnte. Diesen Weg zu meiner Identität und den Inhalten meiner Identität zu gehen, wurde ausgelöst von den Mobbingerfahrungen meiner Kindheit und Jugend, die wie Statuen überproportionaler Größe über mein Leben wachten. Und als ich dachte dieser Weg zu meinem Ich sei endlich zu Ende mit der Akzeptanz meines Anderssein von mir und meinem Umfeld, begann ein neues Kapitel.


Denn in den vergangenen Monaten hatte ich das Glück zu erleben, mich Tag für Tag weniger anders zu fühlen, weniger komisch. Es ist ein schleichender Prozess, ein immer noch sich vollziehender Prozess. Das Wort, das mein Leben scheinbar bestimmte, am Herzen meiner Identität zu stehen schien, begann seine Bedeutung zu verlieren.

Die Menschen in meinem Leben veränderten sich. Neue Menschen kamen, andere gingen, und viele alte, die ich seit Jahren kannte, begann ich plötzlich in einem anderen Licht zu sehen. Mit so viel mehr Farbe. Sie alle hätte man als anders bezeichnen können. Mit ihren individuellen Problemen, Vergangenheiten, sexuellen Präferenzen, Interessen, Verhaltensweisen. Immer mehr Menschen fielen in meinem Kopf in die Kategorie „anders“. Und der Begriff blähte sich auf, wie ein Ballon, umfasste immer mehr. Bis er platzte. Und jegliche Bedeutung verlor.

Auch ich bemerkte, dass auch ich in den Augen meiner Mitmenschen zu einer Anderen wurde. In meinem Kopf hing ich noch immer an der sehr veralteten Vorstellung, dass man mich als „Stufenopfer“ kannte. Weil ich irgendwie rausfiel und komisch war und deshalb vogelfrei für Mobbing.

Aber das stimmte nicht länger. Die Menschen kannten mich plötzlich über mein politisches und soziales Engagement. Verbanden mit mir meine politischen Meinungen und Reden, oder meine Musik. Sprachen mich auf Texte von mir an, oder auf kontroverse oder interessante Bemerkungen meinerseits. Ich bin plötzlich nicht mehr die Komische, sondern die Stadtverordnete der Klimaliste, die Harfenspielerin, die Interessierte in Kulturpsychologie, die Kreative. Und ja, auch die Autistin.

Doch diese Dinge machen mich nicht länger anders. Sondern sie machen mich einfach nur zu mich.


Mich nicht länger komisch zu fühlen ist nicht mein Verdienst. Genauso wenig wie mich als Kind und Jugendliche komisch zu fühlen. Es ist der Verdienst meines Umfeldes. Meiner Freund*innen und Bekannten und der Fremden, dich ich treffe. Der Worte, die ich höre. Und obwohl ich es geschafft habe diese Begriffe in für mich positive Eigenschaften zu verändern, bin ich doch froh, dass sie mich nicht länger definieren. Ich in einer Welt leben kann, in der ich zwar individuell bin und viele Eigenschaften habe, die mich einzigartig machen, das mich aber nicht länger als komisch und anders brandmarkt. Wo meine Farben aus mir selbst heraus kommen können und nicht anhand ihrer Kontraste zu ihrem Umfeld definiert werden.

Diese Welt existiert nur für wenige. Und für niemanden komplett. Doch ich glaube daran, dass wir sie bauen können, für uns alle. Durch Akzeptanz. Durch ein Besiegen des Schams. Durch Sichtbarkeit und sichtbar sein dürfen. Durch Hinschauen, aber nicht hinstarren. Durch Lächeln, aber nicht Lachen. Durch Hinsehen.


Danke, dass ich durch euch mich selbst kennenlernen durfte. Ich endlich sein darf. Ihr mir diese Welt, diesen Ort ermöglicht, hier in Marburg, an dem ich aufhören kann komisch zu sein. Und anfangen kann einfach zu sein.


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